Als Patientenvertreter im G-BA
Von Jürgen Matzat (Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen Gießen)
"Man kommt zu Wort, und manchmal finden die Worte sogar positive Resonanz. "
Unvergesslich ist die allererste Sitzung, damals noch in Siegburg: Völlig unvorbereitet, ohne so recht verstanden zu haben, worum es denn genau gehen sollte, auf was für Menschen, Institutionen und Strukturen man treffen würde, suchten die Patientenvertreter/ innen den Sitzungsraum.
Darin, so stellte sich heraus, tagten bereits die „Bänke“ (also die Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen und der so genannten „Leistungserbringer“, in diesem Falle: Ärzt/innen und Psychotherapeut/ innen) – ohne uns. Und es gab auch keine freien Stühle mehr. Sehnsüchtig auf uns gewartet hatte man also nicht gerade. Wir spürten deutlich: Wir sind hier ein Störfaktor. (Ob der Gesetzgeber das womöglich sogar beabsichtigt hatte …?) Das löste sich allerdings recht schnell auf (zumindest bei einigen) – im Unterausschuss Psychotherapie, aus dem ich hier berichte, sitzen halt sensible, kooperative und sozial kompetente Menschen.
Zehn Jahre später kann man darüber nur schmunzeln. Inzwischen fühlt sich – zumindest in diesem Unterausschuss – die Patientenvertretung akzeptiert. Man kommt zu Wort, und manchmal finden die Worte sogar positive Resonanz. Der unparteiische Vorsitzende und die Geschäftsstelle verhalten sich fair und unterstützend. Als einer der Patientenvertreter verstorben war, wurde seiner in bewegenden Worten gedacht. Die Mitarbeit im G-BA verlangt von Patientenvertreter/ innen erhebliches Umdenken und die Beschäftigung mit bislang fremder Materie: die Gesetze, Regeln und Richtlinien der Juristen (alles muss ja „juristisch wasserdicht“ sein), die Vorgaben der „Evidence based Medicine“, die Strukturen der „gemeinsamen Selbstverwaltung“ etc. Die in der Selbsthilfe gängige Währung, nämlich der Austausch persönlicher Erlebnisse und Erfahrungen, muss ersetzt (oder zumindest ergänzt) werden durch die Währung „Studien“. Alles und jedes muss mit wissenschaftlichen Untersuchungen belegt werden, und gelegentlich muss geradezu Orwell’sches Neusprech geredet werden, wenn zum Beispiel die Begrenzung des Versorgungsangebots für die Versicherten „Bedarfsplanung“ genannt wird. Der Fortschritt ist auch im G-BA eine Schnecke. Vielfach geht es auch nicht (oder jedenfalls nicht nur) um die Suche nach Wahrheiten und besten Lösungen, sondern um den Ausgleich von finanziellen, professionellen und politischen Interessen. Manche Kompromisse sind fair, andere sind faul – ganz wie im richtigen Leben. Die Patientenvertretung sucht hier ihren Weg zwischen Interessenvertretung der Betroffenen und Mitverantwortung für das Gesamtsystem.
Ein Spezifikum der Patientenbeteiligung in Deutschland besteht in der Selbst-Rekrutierung von „sachkundigen Personen“ aus den vier „maßgeblichen Organisationen“. Wir entsenden „von unten“ und werden nicht „von oben“ berufen. Eine gelungene Form von Bürgerbeteiligung, die auch international aufmerksam zur Kenntnis genommen wird. Ihre Schwäche, das ist offensichtlich, liegt im Mangel an Ressourcen. Die Einrichtung der so genannten Stabsstelle Patientenbeteiligung stellte hier einen enormen Fortschritt dar, und speziell im Unterausschuss Psychotherapie ist die Mitwirkung von zwei „gemeinsamen Sachverständigen“ aus der Wissenschaft für die Patientenvertretung enorm hilfreich
Die Patientenbeteiligung im G-BA, so wie wir sie kennen, wäre nicht möglich gewesen, wenn sich nicht seit den 1970er Jahren eine Selbsthilfebewegung in Deutschland entwickelt hätte, die international einmalig ist, auch dank der gesetzlich vorgeschriebenen Förderung von Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen und Selbsthilfekontaktstellen aus Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), vor allem aber getragen vom Engagement von Millionen Patient/innen und Angehörigen. Für dieses „soziale Kapital“ kann man nur dankbar sein.
Jürgen Matzat
Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen
der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V., Friedrichstraße 33, 35392 Gießen
Tel: 06 41 / 994 56 12
E-Mail: juergen.matzat@psycho.med.uni-giessen.de